Schlauch-Liner in Rohrsystem eingebracht
Sanierung von Fernwärmeleitungen vereinfacht
Fernwärmenetze in Deutschland wurden seit den 1950er Jahren vermehrt installiert und erreichen jetzt das Ende ihrer geplanten Nutzungsdauer. Dabei ist der Austausch der Leitungen sehr aufwändig: Bodenmassen müssen ausgehoben und die Oberflächen im Anschluss wiederhergestellt werden, der Straßen- und Lieferverkehr wird gestört und Anwohnende werden durch Baulärm und –staub belästigt.
Im vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Vorhaben „FW-Liner“ haben Expertinnen und Experten unter Leitung des „AGFW - Der Effizienzverband für Wärme, Kälte und KWK“ jetzt eine effizientere und umweltschonendere Lösung entwickelt. Dazu greifen sie auf ein Verfahren zurück, das bereits bei drucklosen Abwassernetzen und Trinkwasser-Drucknetzen zum Einsatz kommt: So genannte Schlauch-Liner, die mit Harz imprägniert sind und aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) bestehen, werden in das Rohrsystem eingebracht und erhärten vor Ort. Ein Hersteller dieser Liner, die SAERTEX multiCom GmbH, ist Teil des Forschungskonsortiums von FW-Liner.
Besondere Herausforderungen bei Fernwärmeleitungen
In Fernwärmeleitungen herrschen höhere Temperaturen und andere Druckverhältnisse als in Abwasser- und Trinkwassernetzen. „Die bisher dort eingesetzten Schlauch-Liner haben wir an die thermischen, mechanischen und chemischen Beanspruchungen in Fernwärmeleitungen angepasst“, erklärt Projektleiter Sebastian Grimm vom AGFW. „Dabei haben wir uns auf die in Deutschland am häufigsten verbauten Heißwasser-Fernwärmesysteme konzentriert.“
Insbesondere Temperaturlastwechsel beanspruchen Fernwärmerohrleitungen. Da zukünftig vermehrt volatile erneuerbare Energie in die Netze eingespeist wird, die Sektorenkopplung und die damit verbundenen Änderungen des Strom- und Wärmemarktes zunehmen, gehen die Expertinnen und Experten davon aus, dass diese Belastungen zunehmen werden. Dafür sind insbesondere ältere Fernwärmesysteme nicht ausgelegt.
Typische Schadensbilder in Fernwärmeleitungssystemen, Quelle: GEF Ingenieur AG
Von den typischen Schäden an Fernwärmeleitungen lassen sich nur diejenigen mit einem Liner beheben, bei denen das innenliegende Mediumrohr selbst betroffen ist. Dazu zählen fehlerhafte Schweißnähte, die zu undichten Stellen führen können, oder Korrosionsschäden. „Kommt ein FW-Liner zum Einsatz können Instandhaltungsmaßnahmen auch punktuell durchgeführt werden, sodass nur einzelne Netzabschnitte betroffen sind. Dies reduziert Kosten und führt dazu, dass die Versorgung schneller wiederhergestellt werden kann“, so Grimm.
Fernwärmetaugliche Materialien gesucht
Harz, Glasfasergelege und Schutzfolie: Insbesondere diese Komponenten des Schlauch-Liners mussten für die hohen Belastungen in Fernwärmenetzen optimiert werden. Das heißt, das Gesamtsystem muss bei Temperaturen bis 130 Grad Celsius ausreichend dicht und tragfähig bleiben. Zusätzlich mussten die Expertinnen und Experten sicherstellen, dass bei mittel- und langfristigen Materialveränderungen das Heizmedium nicht schädlich beeinflusst wird.
„Eine der größten Herausforderungen zu Beginn des Forschungsvorhabens war es, ein Harz zu finden, dass die hohen Materialbeanspruchungen in Fernwärmenetzen ertragen kann“, so Grimm. Die Glasfasern werden in einem "Gelege verarbeitet" welches mit dem Harz getränkt wird. Die Kombination der Komponenten Glasfaser und Harz bilden den glasfaserverstärkten Kunststoff (GFK). Die Innenfolie dient als weiteres abdichtendes Element vor, während und nach Bedarf auch nach der Aushärtung des Harzes. Erst wenn das Harz aushärtet, ist aus dem flexiblen Schlauch ein stabiles Rohr geworden.
Nach verschiedenen Untersuchungen identifizierten die Experten ein Industrieharz, das im industriellen Maßstab verfügbar und in der Liner-Produktion einsetzbar ist. Eine aus dem Projekt hervorgegangene Dissertation zum Thema wurde mit dem „AVK Innovationspreis“ ausgezeichnet. Schließlich haben es die Forschenden im Projekt geschafft, die Grundelemente eines fernwärmetauglichen GFK-Druckschlauch-Liners (Harz, Glasfasergelege und Schutzfolie) zu entwickeln. Den daraus entstandenen Prototyp konnten sie erfolgreich im Labor testen.
FW-Liner in Teststrecke eingebaut
Gemeinsam mit den Stadtwerken und der Stadt Neumünster haben die Projektpartner zusätzlich eine Teststrecke (siehe Infobox) im Parallelbetrieb zu einem realen Fernwärmenetz errichtet. Dort konnte ein erster Prototyp des FW-Liners im praktischen Betrieb und unter Baustellenbedingungen getestet und konkreter Entwicklungsbedarf abgeleitet werden.
Nach Abschluss des Vorhabens testete der AGFW mit lokalen Partnern zusätzlich ein anderes neu entwickeltes Inliner-Sanierungsverfahren, welches in die Teststrecke eingebaut ist. Die Praxiserfahrungen aus FW-Liner sowie die aktuell durchgeführten Prüfungen und Untersuchungen ermöglichen es, die Eignung der neuen Sanierungsverfahren für Fernwärmeleitungen abzuschätzen. Dies kann interessierten Fernwärmeversorgungsunternehmen eine erste Orientierung bieten. Außerdem fließen die Erkenntnisse in das Folgeprojekt SaniFern ein, das ebenfalls durch das BMWK gefördert wird.
So funktioniert das Einbringen des Schlauch-Liners
Im Video sieht man den ersten Linereinzug im März 2022 in ein deutsches Fernwärmenetz. Die rund 115 Meter lange Kunststoffmantelverbundrohr-Leitung wurde im Rahmen des BMWK-geförderten Vorhabens „FW-Liner“ als Teststrecke für die Untersuchung fernwärmegeeigneter Schlauchliner-Sanierungsverfahren errichtet. Durch die Anbindung parallel zum Versorgungsnetz der Stadtwerke Neumünster (SWN) erfahren die Liner und Prototypen reale Temperaturbelastungen, ohne dass der Betrieb des eigentlichen Versorgungsnetzes gestört wird. Dieses Video dokumentiert den Einbau des Produktes CarboSeal der Firma PPR Deutschland GmbH auf einem 40 Meter langen Rohrabschnitt.
Nächste Herausforderung: Seitenabgänge im Fernwärmenetz
Um den praktischen Nutzen zu erhöhen, ist es sinnvoll, dass der Schlauch-Liner unter möglichst vielen FW-typischen Bedingungen zum Einsatz kommen kann. Ein Beispiel sind so genannte Seitenabgänge. „Diese sind in Fernwärme-Netzen überall dort erforderlich, wo Leitungen von den Transport- oder Verteilleitungen abzweigen. Solche Seitenabgänge werden in der Regel als T-Abzweig gestaltet“, erklärt Grimm. Im Folgeprojekt SaniFern entwickeln die Projektpartner jetzt Lösungen, um Seitenabgänge bei der Sanierung mit FW-Linern mit möglichst geringem Aufwand zu berücksichtigen. Ziel ist, dass dies ebenfalls grabenlos möglich ist. Außerdem stellen die Expertinnen und Experten Informationen zu Planung, Bau und Finanzierung des neuen Sanierungsverfahrens zusammen. (bs)
19.10.2023
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